27.08.2010

Lektion 10: Rue Montorgueil



DIE Straße im ehemaligen Hallenviertel von Paris, das ja einst nicht nur "der Bauch" der Stadt, sondern auch das Rotlicht-Quartier war. Billy Wilder siedelte deshalb die Story zu seiner Irma la Douce mit Shirley MacLaine genau hier an. Die Rue Montorgueil durchquert das 2. Arrondissement von dem häßlichen 80er-Jahre Shopping-Komplex Les Halles durch das hot&coole Boutiquen- und Kneipenviertel an der Rue Etienne Marcel bis hinauf zur noch immer roten Meile...

Einmal holten wir - allein gelassen und gelangweilt - zur blauen Stunde im Hôtel Victoires Opéra 
(56 rue Montorgueil) in einem Zimmer mit dem begehrten street-view die Videokamera heraus und ließen die digitalen Blicke schweifen. Street Life.

26.08.2010

Lektion 9: Privatschule

New York City. Das ist das Waldorf-Astoria Hotel. Eines der luxuriösesten Hotels der Welt. Es hat sogar einen eigenen „geheimen“ Bahnsteig als Verlängerung des benachbarten Grand Central Terminal, New Yorks Hauptbahnhof. Eingerichtet wurde diese Plattform für Franklin D. Roosevelt, Präsident der Vereinigten Staaten von 1933 bis zu seinem Tod 1945, der seinen Zug immer direkt unter „das Waldorf“ fahren ließ, wenn er in der Stadt war. Von dort ging es mit einem privaten Lift in die Präsidentensuite. Warum diese Scheu vor der Öffentlichkeit? Nun, Roosevelt war behindert, er saß seit seiner Kinderlähmung im Rollstuhl. In der Zeit vor Fernsehen, Internet und bunten Klatschblättern wußten das aber nur wenige Amerikaner und so sollte es auch bleiben. Der Präsident, der sein Land durch den Zweiten Weltkrieg zu führen hatte, sollte keine Schwäche zeigen.

Und dies ist der Waldorf-Salat, vermutlich das bekannteste Gericht, das je in der Küche des o.g. Hotels von Chefkoch Oscar Tschirky kreiert wurde. Man nehme säuerliche Äpfel und rohen Knollensellerie, der in feine Julienne-Streifen geschnitten wird, vermengt dies mit gehackten Walnusskernen und mit einer leichten Sauce Mayonnaise. Abgeschmeckt wird mit etwas Zitronensaft und Cayennepfeffer. Der Waldorfsalat gehört zu den Klassikern der Salatküche und steht in unserer modernen Zeit gerne im Kühlregal der Lebensmittelmärkte - zwischen Farmer- und rotem Heringssalat.

Da bekommt man Appetit. Und Durst. Wissensdurst, nicht wahr?! Denn, so fragt man sich unwillkürlich, warum tragen ein Hotel in Amerika und eine leckere Feinkost den gleichen Namen wie die derzeit begehrtesten Privatschulen  in der ganzen Welt?

Die Lösung des Rätsels liegt hier...
...in Walldorf im Süden Baden-Württembergs. Überregional bekannt ist Walldorf heute nur durch das gleichnamige Autobahnkreuz. Aber am 17. Juli 1763 wurde dort Johann Jakob Astor geboren. Schon als junger Mann zog es ihn freilich in die Ferne. Er emigrierte in die USA, kam dort praktisch mittellos an und wurde dennoch vom Straßenfeger zum Musikalienhändler und schließlich durch Pelzhandel und Immobilien zum reichsten Mann der Welt. Sein Urenkel war John Jacob Astor IV, der beim Untergang der Titanic ums Leben kam - wie übrigens die meisten Reisenden der Ersten Klasse, weil diese sich weigerten, mit normalen Proleten der Klasse 2 und 3 das Schiffsdeck oder gar ein Rettungsboot zu teilen. Aber dies nur am Rande. Zuvor hatte John Jacob Astor der Vierte allerdings mit seinem Onkel William Waldorf Astor, einem Enkel von Johann Jakob, das Waldorf-Astoria Hotel gegründet. Daß William den zweiten Namen Waldorf bekommen hatte, zeigt, wie eng die Astors sich noch in dritter und vierter Generation mit der Heimatstadt des Familiengründers verbunden fühlten.

Interessant, nicht wahr?! Allerdings sind wir immer noch nicht in der Waldorf-Schule angekommen... Dazu müssen wir wieder zurück gehen ins Schwäbische. Am 1. Januar 1906 gründete der Schwabe Emil Molt in Stuttgart die Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik. Der Name war aber wohl viel mehr als eine bloße Hommage an den großen Sohn der Region. Man vermutet, daß die Tabakwarenfirma als Teil des weitverzweigten Handels- und Wirtschaftsimperiums der Astors entstand. Anders wäre es wohl auch kaum zu erklären, wie sie diesen, schon damals so renommierten Markennamen erhalten konnte. Noch heute schmückt das Portrait von Johann Jakob Astor die Packung der Marke Astor (die mittlerweile von Reemtsma hergestellt wird).

Eines Tages beauftragte Emil Molt, der Chef der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik, einen gewissen Rudolf Steiner, er möge sich ein wenig um die Fortbildung der einfachen Arbeiter kümmern. Steiner war ein östereichischer Esoteriker und Philosoph. Er hatte die sogenannte Anthroposophie, eine gnostische Weltanschauung begründet und auf Grundlage dieser Lehre einflussreiche Anregungen für verschiedene Lebensbereiche, etwa Pädagogik, Kunst (Eurythmie), Medizin (Anthroposophische Medizin) und Landwirtschaft (Biologisch-dynamische Landwirtschaft) entwickelt. Bald kam Steiner zu dem ernüchternden Schluß, daß bei der geistigen Bildung der erwachsenen Arbeitern wohl nicht mehr viel zu machen sei. Man beschloß, künftig lieber gleich bei den Kindern der Firmenangehörigen anzusetzen. Und so wurde am 7. September 1919 in Stuttgart die erste Waldorfschule als eine Betriebsschule für die Sprößlinge der Arbeiter und Angestellten dieser Fabrik gegründet. Steiner machte die Schule zum Ausgangspunkt der anthroposophischen Waldorfpädagogik und übernahm die Ausbildung und Beratung des Lehrerkollegiums. Bis zu seinem Tod im Jahr 1925 war er spiritus rector der Schule. 

Diese Astoria-Betriebsschule auf der Stuttgarter Uhlandshöhe, Modell für alle späteren Waldorfschulen, war schulgeschichtlich die erste Einheits- bzw. Gesamtschule Deutschlands. In den folgenden Jahren wurden weitere Waldorfschulen in Deutschland und im Ausland begründet. Bereits 1928 bestanden Schulen unter anderem in Basel, Budapest, London, Lissabon und in New York. Danke, Familie Astor. Danke, Herr Steiner. Bei der Erziehung der eigenen Brut die Waldorfschule an der Seite zu wissen, ist heutzutage ein sehr beruhigendes Gefühl.

24.08.2010

Lektion 8: Disco

Disco. Where The Happy People Go! (The Trammps)

Paris. In Les Bains Douches. Der Abend näherte sich schon dem Morgen. Für üppige 600 Francs hatte der DJ zwei ganz frische 90er-Musicassetten zum Mitnehmen 'rausgerückt. Ich setzte mich erschöpft und zufrieden auf eine der riesigen Boxen und ließ die Tanzbeine baumeln.

Ob dieses Anblicks der Seligkeit schenkte mir die Frau an meiner Seite am nächsten Tag "Der kleine Prinz". Und heiratete mich ein paar Jahre später. Den Abend in der damals wohl heißesten Discothek der Welt (mit der härtesten Tür, aber es gab einen Trick) nahm ich trotzdem als Schlußpunkt an, denn es kommt der Tag, da soll der Gentleman nicht mehr auf Tanzflächen mit denen fraternisieren, die eigentlich gar nicht seine Brüder und Schwestern sein könnten. Gleich wie.

Natürlich, auch für Erwachsene gibt es Clubs mit der Option, ein Tänzchen zu wagen. Aber warum hat denn der Ritz-Club an der Place Vendôme nun sporadisch die Pforten geschlossen? Weil es ein Bordell war. Punktum. Annabel's am Berkeley Square, wo ja bekanntlich einst sogar die Nachtigall sang ("A Nightingale Sang in Berkeley Square"), ist ein Pfuhl, wo alle Todsünden gleichzeitig begangen werden - von Sugardaddies, die nicht wirklich Sexyness versprühen. Und übrigens: auch das Pariser Les Bains Douches ist mittlerweile geschlossen. Roman Polanski hat als Letzter die Tür zugemacht.

Mein Plädoyer: Laßt die Discos, die Clubs den Kindern. Nur sie sehen sympathisch aus, wenn sie ekstatisch zum Rhythmus zucken. Wie schon Norman Mailer wußte: "Echte Männer tanzen nicht". Aber was ist mit den süßen Frauen in der Disco?, höre ich den Leser jetzt zwischenrufen. Zugegeben: schweißnasse, begnadete Körper in verrutschten Tank Tops - das ist schon ein hübscher Anblick. Aber Mann mache sich nichts vor. Die Biester wollen alle nur das eine. Nein, nicht das eine, das andere: Coks (Merke: Coks schreibt man mit "C").

23.08.2010

Lektion 7: Stehgeiger

Von links: der Konsul der Republik Benin, ein anonymer Stehgeiger, die erste Frau von Max Grundig, die Anneliese, und der Stilbestimmer im Salle Empire, im Hotel de Paris, Monte Carlo

Es war ein romantischer Abend im L'Espadon, dem atemraubend schönen Restaurant des Hotel Ritz, das damals noch nicht von uneleganten Ostgoten überschwemmt wurde. Zum Spargel - fünf pralle Stangen von den Feldern des Landes serviert mit einer Sauce Mousseline - stellten die Kellner eine Schale mit warmen Wasser auf den Tisch. Zum anschließenden Waschen der Finger: Spargel ißt man nämlich mit der Hand! Das wissen heute die wenigsten, denn im Sansibar in Rantum/Sylt lernt man so etwas natürlich nicht.

Nach der Vorspeise traten die zwei Stehgeiger des Hauses endlich auch an unseren Tisch und verwöhnten die Ohren mit dem Thema aus Der Pate. Das zweite Musikstück mögen wir uns wünschen, bat man uns höflich. Doch uns stand der Sinn nach einer Überraschung. Die Künstler warfen sich einen kurzen Blick zu und setzten an... Und schon erklang sie, die so vertraute Melodie, die Frankie (mit einem Text von Paul Anka) zu einer universellen, sentimentalen Hymne gemacht hat: "My Way".

Das verblüffende an diesem musikalischen Appetithäppchen: Erst wenige Wochen zuvor hatte ich das Stück als einsames Saxophonsolo gehört - am Grab auf der Beerdigung meines Vaters. Es war sein letzter Wunsch... In diesem poetischen Moment im Ritz schämte ich mich meiner Tränen nicht und blinzelte hinauf zum blattgoldgefaßten Deckenfresco.

Die Küche des L'Espadon hat zwei Sterne im Guide Michelin und 17 Punkte im Gault Millau. Einen Führer, der die Stehgeiger eines Restaurants und die silbernen Spargelzangen von Christofle bewertet, gibt es bis heute nicht.

L'Espadon, Hotel Ritz, Paris

08.08.2010

Lektion 6: Rolls-Royce



Ich war einst stolzer Fahrer und Besitzer - leider nicht auch "Eigentümer" - eines Rolls-Royce Silver Cloud II LWB (long wheel base mit Trennscheibe). Ein perfekt erhaltenes Exemplar, Vorbesitzerin Queen Elizabeth The Queen Mother. Ein väterlicher Freund hatte das Fahrzeug in London gekauft, bevor ihm einfiel, daß er gar keinen Führerschein hatte. Der Rolls wollte aber bewegt werden, und so... gab er ihn mir!

Eines schönen Tages fuhr ich in diesem Silver Cloud mit der lieben Mutter - Gott hab' sie selig - nach Sylt. An der Verladestation in Niebüll bedeutete mir ein Bundesbahnmitarbeiter in gewohnt reduzierter Gebärdensprache, daß ich mit meinem Dickschiff keinesfalls wie jeder normale PKW-Fahrer einfach auf den doppelstöckigen Autozug rollen könne... Stattdessen sollte mein Platz auf dem offenen Pritschenwagen sein - neben LKWs und Gespannen mit Wohnwagen. Genau dazwischen reihte ich den Ex-Rolls von Queen Mum ein...

Und da sah ich sie, oder besser: es - einen RR Silver Cloud III (!) mit Mannheimer Kennzeichen, am Steuer eine attraktive Dame um die fünfzig und auf dem Sozius die umso attraktivere Tochter von etwa zwanzig. Die Wahrscheinlichkeit, vom Blitz getroffen zu werden, ist wesentlich größer, als die, in einem von zwei RR Silver Cloud auf demselben Pritschenwagen nach Sylt zu sitzen (ist seitdem wohl nie wieder vorgekommen - und heute fährt alles Cayenne oder Panamera)...

Madame hatte arge Probleme, ihr Auto rückwärts (!) auf den Zug zu bugsieren. Sie war im Begriff, schier zu verzweifeln. So löste ich mich von meinem Volant, um dem Damen-Duo galant beizuspringen. Ich stellte zunächst mich artig vor - und danach deren Karre in einem eleganten Schwung, der den geborenen Rolls-Royce-Fahrer verriet, im Rückwärtsgang auf den Wagon! In diesem Moment hätte ich alles haben können: Mutter, Tochter, die Fabrik des Vaters wahrscheinlich auch noch, hätte ich nur darum gebeten. Doch stattdessen beließ ich es bei einer d'artagnanesken Verbeugung und empfahl mich stets zu ihren Diensten... Seit jenem Tag an der Autozugverladestation in Niebüll weiß ich, wie Triumph schmeckt. Süß!