05.12.2010

Lektion 19: Bei Wichmann

Zwei Hochzeiten und zwei Todesfälle, Taufen und Konfirmationen, intime Soupers und große Feinschmeckereien. Wer in Hannover aufgewachsen ist - mit einem gewissen Hang zu bürgerlichen Traditionen und großbürgerlicher Gourmandise, dem ist das landhausartige Refugium der 150-Jahre-alten Gastwirtschaft Fritz Wichmann von Kindesbeinen an ein zweites Wohnzimmer. Alle anderen Hannoveraner kennen es nur von außen. Dafür kehren hier auch auswärtige Kanzler, Könige und Kaiser häufiger mal ein.


Den Anruf nahm Ariane Weick, die Tochter des Hauses, an - und erstarrte sogleich. Stumm reichte sie den Hörer weiter an ihren Vater. Am anderen Ende der Leitung war ER persönlich, um sich im perfekten deutsch für einen schönen Abend in der Gastwirtschaft zu bedanken: Wladimir Wladimirowitsch Putin, (damals) Staatsoberhaupt Russlands. Das war selbst für Verhältnisse, wie sie hier vorherrschen, etwas Besonderes. Und deshalb hängt ein Erinnerungsfoto von Putins Besuch heute im Entrée. Andere blieben unfotografiert, unerwähnt. „Diskretion ist alles!“, verrät Gerd Weick, „und ich selbst muß auch nicht ständig Journalisten Rede und Antwort stehen.“ Uns jedoch empfängt er zum Interview im sogenannten Delfter Zimmer.

Ein lupenreiner Feinschmecker

Die Gastwirtschaft Wichmann verteilt sich auf ein schier unendliches Ensemble aus Kabinetten, Stuben und Sälen. „Unser“ Delfter Zimmer hatten seinerzeit auch Putin und sein Gastgeber Gerhard Schröder für ihre vertrauliche Zusammenkunft gewählt.

„Lassen Sie uns bitte nicht vom Kochen sprechen!“, beginnt der Hausherr, der zwischen 1974 und 1982 hier Küchenchef im Dienste der Familie Fritz Wichmann war und 1976 den ersten Michelin-Stern in die Landeshauptstadt Hannover holte, der, dem das traditionsreichste Restaurant dieser Stadt seit 1988 selbst gehört. Worüber möchte er denn gerne plaudern? „Über Frauen. Meine Inspiration, meine Welt...“ Und schon werden Fotos vorgezeigt. Mit Langbein Ute Lemper, mit Champagnerlady Virginie Taittinger („meine beste Freundin“)...

Altes Fachwerk -
der ideale Rahmen für schöne Frauen

Und weiter geht es zu den Witwen verdienter Stammgäste. Es ist nämlich so, daß jeden Mittag gegen eins Weicks BMW X5 vom Hof rollt und das wohl exklusivste Essen auf Rädern ausliefert, das dieses Land kennt. „De luxe. Auf Silbertablett.“ Nur für zwei ältere Damen in Waldhausen. Das ist Chefsache. Es müssen schon gute Gäste gewesen sein früher, denen Weick diesen ebenso rührenden wie soignierten Dienst erweist. „Ach, wissen Sie, früher...“, wird der Wirt sentimental und berichtet von Kaviar satt, von bis dato ungekannten Edelprodukten aus Frankreich, von Partys bei seinem Mentor Walter Böcker, in dessen Lokal am Maschsee die Schönen und Reichen dereinst so richtig Gas gaben. Heute heißt es Die Insel, und dort rühmt man sich auf einer kleinen Fotowand der Besuche von Angela Merkel und Robert Enke.

Gerd Weick -
Wichmanns Hausherr seit 1988

Weick selbst bevorzugt das Understatement. „Mein Rolls-Royce steht in der Küche“, springt er auf. Wir folgen ihm ins Allerheiligste. Und tatsächlich, da ist er: der Molteni-Herd, groß, schwer und bedrohlich wie ein Panzer. Kein anderes Utensil könnte in dieser Küche stehen. Hier wo man dem  Hummer in allerlei Varianten huldigt, wo aus Stopfleber Torten aufgeschichtet werden, wo man dem Wildbret eine eigene saisonale Speisekarte widmet, wo der Fisch tagesfrisch nur im Ganzen angeliefert wird - je nach „Marktlage“. Aber was ist mit Businnesmenüs, Downsizing?  „Haben wir alles probiert,“ winkt der Chef ab, „darauf legen unsere Gäste keinen Wert.“

Sohn Arndt, Gerd Weick
und ganzer Kabeljau mit Kopf

„Außerdem: wir wollen nicht vom Kochen reden!“. Stattdessen schwelgt Gerd Weick - passionierter Klarinettenspieler (!), wie wir erfahren - nun von Musik. Alles von Klassik bis zu den Rolling Stones. Ach ja, werfen wir ein, und uns rauscht der Kopf, waren die auch schon hier? „Die Stones?“, beugt Weick sich nach vorne und fängt an zu flüstern, „da mußten wir die Fensterläden zuziehen! Sie kamen kurz nach Mitternacht und die Session ging bis vier Uhr morgens. Mick hat sich am nächsten Tag persönlich für den schönen Abend bedankt.“ Wir sacken zusammen. In dem Stuhl, in dem schon Putin saß.

Da kann man lachen: der kleine Lustgarten im Innenhof
zählt zu den zauberhaftesten Plätzen in der Landeshauptstadt

02.12.2010

Newsflash: Die netten Al Thanis aus Qatar

Aus gegebenem Anlaß veröffentlichen wir hier leicht gekürzt einen Text, der bereits vor zwei Jahren, am 04. August  2008, in unserem Blog Travels (gehostet bei Posterous) erschien. Erfahren Sie, geneigter Leser, direkt vom Stilbestimmer alles über das rätselhafte Qatar, das 2022 Ausrichter der FIFA-WM sein wird.


Travels
Reisetagebuch, 04.08.08: Die netten Al Thanis aus Qatar



Das Westin Paris steht diesmal im Zeichen zweier Familien, die beide mit Kind und Kegel hier Urlaub machen: Die des Stilbestimmer - in Zimmern 3053/3054 - und die Familie Al Thani aus Qatar. Der Skeikh hat für seine Sippschaft die 2. Etage komplett gebucht (120 Zimmer) und Teile der Innenhofterrasse permanent reserviert, um dort eine vermittels Paravents abgezirkelte Caravanserai aufzuschlagen. Man ist gerne "entre nous".


Ansonsten sind die Al Thanis sehr nett. Die Kleinen vergnügen sich tagein, abendaus auf dem - wie in jeden Sommer - vis-à-vis in den Gärten der Tuilerien aufgebauten Jahrmarkt, die Sheikhas (die Frauen und Töchtern des Emirs von Qatar) tun das, was deutsche Girlies auch den ganzen Tag tun: Shoppen, und die halbstarken Muselmänner interessieren sich nur für Autos.


Ausnahmezustand vor dem Westin: Der Fuhrpark des Sheikh besteht aus ca. 30 schwarzen S-Klasse-Limos von Europcar mit Hamburger Kennzeichen - sowie diversen Bentley Continental, Lamborghini Murciélago oder Cayenne Turbo S - alle weiß lackiert und alle zugelassen in Doha, der Hauptstadt von Qatar.


What money can't buy: Gut, weiß lackiert ist mein Golf Plus 1.4 auch, und der Wagenmeister, Monsieur George, parkt Das Auto aus jahrelanger Verbundenheit noch vor dem Lambo - wäre ja auch noch schöner... Und während wir uns unter den Kolonaden der Rue de Castiglione die Beine vertreten, denkt des Stilbestimmers Sheikha: "Was soll's?! Mein Gatte hat zwar keine Flügeltüren, aber 'Caravanserai' ist für ihn immer noch das vierte Album von Santana, und nicht die Lobby in seinem Pariser Stammbeiserl."



Den Eiffelturm läßt das alles kalt. Er strahlt zu jeder vollen Stunde eisblau und macht immer eine gute Figur.

Im Sommer 2022 werden die Wandelgänge im Westin Paris
sie wohl nicht sehen: Urlaubssperre für die netten Al Thanis aus Qatar

01.12.2010

Lektion 18: Kleine Fluchten

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Bernardo Bellotto:
Venizianisches Capriccio mit Ansicht von Santa Maria dei Miracoli
 Der wasserseitige Eingang ins Gritti

Selbst der polyglotteste Reisende kann nicht immer dort sein, wo er sich gerade hinwünscht. Unser Lieblingsplatz in der Welt, wie wir sie kennen, ist die hölzerne Terrasse (direkt am Canal Grande) des Hotels Gritti Palace in Venedig im Stadtteil San Marco.

Hotel Gritti Palace
Über die Luxuriösität und Abgehobenheit dieser Herberge ist alles gesagt. Eine Art Ritz in der Lagune, denn wie in der Pariser Hotel-Ikone gibt es auch hier viele Legenden und ebenso viel Renovierungsstau - und gelegentlich Langweile.

Doch nicht immer, wenn spontanes Fernweh plagt, ist der Canal Grande sofort greifbar. Eine naheliegende Alternative ist ein Besuch in der Landesgalerie im Niedersächsischen Landesmuseum zu Hannover. Hier hängt - ein wenig versteckt - unser ganz privates Venedig. Diesen Kurztrip kann jedermann machen: Es ist eine kleine Ansicht der Kirche Santa Maria dei Miracoli, gemalt um 1740 von Bernardo Bellotto (geb. in Venedig 1721, gest. in Warschau 1780).

In der Landesgalerie
Das Gemälde ist ein Capriccio, in dem einzelne venezianische Bauwerke zu einer frei erfundenen Komposition zusamengefügt wurden. Die linke Bildhälfte zeigt die Chorseite der kleinen Votivkirche Santa Maria dei Miracoli mit Rundfenstern im Kuppeltambour anstelle der gegenwärtig rundbogigen Fensteröffnungen und ohne die blinden Oculi im rechteckigen Tambourunterbau. Das 1481 - 1489 von Pietro Lombardo und seiner großen Werkstatt errichtete Gotteshaus war zur Zeit seiner Entstehung der erste allseits freistehende Kirchenbau Venedigs.

Santa Maria dei Miracoli
Bellottos Mutter war die Schwester des Malers Antonio Canaletto; deshalb ist Bellotto gelegentlich auch unter dem Namen seines Onkels und Lehrmeisters in die Kunstgeschichte eingegangen. 1735 trat er in dessen Werkstatt ein, zunächst als Schüler, später als Mitarbeiter. Von 1747 - 1766 war Bellotto als Hofmaler in Dresden tätig und wirkte anschließend bis zu seinem Tod als Hofmaler in Warschau. Seine Stadtansichten zählen zu den Höhepunkten der Vedutenmalerei des 18. Jahrhunderts.

Das Gemälde in der Landesgalerie ist eine Leihgabe der Fritz Behrens Stiftung Hannover.

(Quelle: Teile dieses Textes entstammen der Bildbeschreibung des genannten Werkes der Landesgalerie im Niedersächsischen Landesmuseum.)